Onkologische Rehabilitation

Die Zahl der mit oder nach einer Krebsdiagnose lebenden Menschen wird sich in Österreich von etwa 400.000 im Jahr 2022 auf etwa 460.000 im Jahr 2030 erhöhen. Diese Menschen sehen sich häufig – aufgrund der Erkrankung oder der Therapien – mit das tägliche Leben beeinträchtigenden Defiziten konfrontiert. Die onkologische Rehabilitation ist daher mittlerweile ein etablierter Bestandteil und besonders wichtiges Nahtstellenthema im sogenannten Cancer-Care-Kontinuum geworden.
Die onkologische Rehabilitation („Wiederbefähigung“) verfolgt das Ziel, krebs- und behandlungsbedingte physische, mentale und psychosoziale Funktionsdefizite zu reduzieren und somit die Teilhabe am sozialen und beruflichen Leben zu verbessern. Rehabilitation bedeutet wörtlich übersetzt Wiederbefähigung – ihre wesentlichen Säulen stellen die Edukation, oder genauer ausgedrückt, das Empowerment, die Psychoonkologie, die Diätologie und Ernährungstherapie sowie Aspekte der physikalischen Medizin und Rehabilitation wie vor allem die nicht-medikamentöse Symptomreduktion und die regelmäßige körperliche Aktivität sowie das Training dar.
Die onkologische Rehabilitation wird in Österreich üblicherweise auf Kosten eines Sozialversicherungsträgers und grundsätzlich auf Basis eines Antrags erbracht. Voraussetzungen sind Rehabilitationsbedürftigkeit, eine günstige Rehabilitationsprognose sowie ein adäquates Rehabilitationspotenzial. Ganz wichtig ist zusätzlich das entsprechende Commitment der Patient:innen, in der Rehabilitation aktiv mitzuwirken und danach „empowert“ die Maßnahmen der Rehabilitation ganzjährig und lebenslang umzusetzen. Dies bedingt auch die Unterstützung durch das unmittelbare private und berufliche Umfeld.

Abb. 1: Am Kongress „25 Jahre Physikalische Medizin und Rehabilitation bei onkologischen Erkrankungen: Prävention, Prä-/Rehabilitation und Schmerztherapie“ wurden ein Vierteljahrhundert unserer gemeinsamen Bemühungen auf den Punkt gebracht sowie gemeinsame Ziele für die Zukunft formuliert (Beiträge von Interessierten sind unter richard.crevenna@meduniwien.ac.at erwünscht).

Rehabilitation ist ein interdisziplinärer Teamprozess und zielt auf Nachhaltigkeit ab. 

Die onkologische Rehabilitation ist ein Teamprozess und eine interdisziplinäre und multiprofessionelle Maßnahme, mit dem Patienten bzw. der Patientin und dessen/deren Umfeld im Zentrum. Sie fokussiert direkt auf die individuellen Funktionsstörungen und Defizite sowie die Ressourcen onkologischer Patient:innen. Erstere können allgemeiner Natur sein, das heißt, bei allen onkologischen Erkrankungen vorkommen (wie u.a. Fatigue oder Erschöpfungssyndrom, Einschränkungen von Muskelkraft und Ausdauer, Depression, Distress, Angst, Appetitlosigkeit). Die Defizite können aber auch für die jeweilige Krebsentität und die betroffenen Organsysteme ganz spezifisch sein (wie u.a. Inkontinenz, Sexualfunktionsstörungen, Schluckstörungen). Basierend auf den individuellen Funktionseinschränkungen und Ressourcen werden mit den Patient:innen individuelle Rehabilitationsziele definiert, die eine Verbesserung des funktionellen Status, der Lebensqualität und der Partizipation der Betroffenen zum Ziel haben. Auch für Patient:innen mit unheilbarer Krebserkrankung kann Rehabilitation sinnvoll sein. In diesem Fall geht es nicht um die „Restitutio ad optimum“ oder die Arbeitsfähigkeit, sondern um den Erhalt bzw. die Verbesserung der Lebensqualität.
Zahlreiche Studien belegen die Wirksamkeit und Nachhaltigkeit der onkologischen Rehabilitation über zumindest 6–12 Monate, insbesondere im Hinblick auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität (HRQoL; d.h. die eigene Wahrnehmung über das körperliche, psychische und soziale Wohlbefinden), Angst und Depression (vgl. auch Abbildung 2).

Effekte der Rehabilitation auf Angst und Depression

 

Die Studie inkludiert 5.567 Patient:innen im Durchschnittsalter von 60,7 Jahren (davon 62,7% weiblich) aus einer laufenden, routinemäßigen Datenerhebung am Onkologischen Rehabilitationszentrum St. Veit im Pongau. Im Ergebnis zeigen sich signifikante Unterschiede in den Altersgruppen sowohl bei Angst als auch bei Depression. Angst kommt häufiger bei jüngeren Patient:innen und Frauen vor, während ältere Patient:innen tendenziell depressiver sind. Sowohl Angst als auch Depression verbesserten sich im Rehabilitationsverlauf über alle Altersgruppen hinweg signifikant. Inte­ressanterweise waren die Depressions-Scores am Ende der Rehabilitation (T1) in allen Altersgruppen sogar niedriger als in der allgemeinen Bevölkerung.

 

Abb. 2: Effekte der Rehabilitation auf Angst und Depression, evaluiert anhand der „Hospital Anxiety and 
Depression Scale“ (HADS)*: Dargestellt sind durchschnittliche Angst-Scores und Depressions-Scores von Krebsüberlebenden vor (T0) und nach (T1) der Rehabilitation, aufgeschlüsselt nach Altersgruppen, verglichen mit Normdaten der allgemeinen Bevölkerung.1

Rehabilitation und Arbeitsfähigkeit

Mit den Fortschritten onkologischer Diagnostik und Therapie können zunehmend mehr Betroffene während und nach einer Krebserkrankung wieder ihrem Beruf nachgehen. Dem gegenüber stehen Belastungen wie Angst, Depression und zum Teil lang anhaltende ­Fatigue, welche die Arbeitsfähigkeit Krebsüberlebender erschweren und häufigere Krankenstände nach sich ­ziehen.
Aus einer österreichischen Studie bei insgesamt 5.912 Rehabilitand:innen geht hervor, dass eine dreiwöchige multidisziplinäre Krebsrehabilitation die eingangs genannten sowie die meisten anderen Symptome bei insgesamt 21 untersuchten Krebsarten deutlich lindern kann.2 In dieser Studie des Onkologischen Rehabilitationszentrums St. Veit im Pongau wurden Krebspatient:innen u.a. dazu befragt, ob sie sich selbst in der Lage fühlen, zu arbeiten. Im Ergebnis konnte die Zahl jener Rehabilitand:innen, die sich selbst zur Arbeit (Vollzeit, Teilzeit) in der Lage sahen, von unter 25% vor der Rehabilitation (T0) bis zum Ende der dreiwöchigen stationären Rehabilitation (T1) auf über 50% mehr als verdoppelt werden (Abbildung 3a). Nahezu idente Ergebnisse wurden erzielt, wenn nur die Gruppe der Rehabilitand:innen < 65 Jahren befragt wurde (Abbildung 3b). Als langfristige Implikation legen die Ergebnisse nahe, dass die Verbesserung der selbst eingeschätzten Arbeitsfähigkeit von Krebsüberlebenden nach der Teilnahme an einem strukturierten Rehabilitationsprogramm nicht nur für ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit, sondern auch für das allgemeine psychische Wohlbefinden von eminenter Bedeutung ist. Das bessere Selbstwertgefühl dürfte zudem mit einer stärkeren sozialen Teilhabe verbunden sein.2

Selbst eingeschätzte Arbeitsfähigkeit

 

Im Rahmen einer laufenden klinischen Datenerhebung am Onkologischen Rehabilitationszentrum St. Veit im Pongau wurden Krebspatient:innen mit zumindest 21 verschiedenen Tumorentitäten gebeten, ihre Arbeitsfähigkeit selbst zu bewerten – nach den Kriterien sehr schlecht/schlecht, moderat, gut/sehr gut –, und zwar am Beginn der Rehabilitation (T0) sowie am Ende (T1). Gezeigt sind die prozentualen Anteile jener Patient:innen, die glaubten, sie seien in der Lage, entweder Vollzeit oder Teilzeit zu arbeiten, oder die sich selbst als arbeitsunfähig einschätzten. 

Ergebnisse: Am Beginn der Rehabilitation (T0) fühlten sich weniger als 25% der Befragten fähig, an den Arbeitsplatz zurückkehren (3a). Bis zum Ende der Rehabilitation (T1) hat sich diese Zahl mehr als verdoppelt (3b). Nahezu identische Ergebnisse wurden erzielt, wenn nur die Gruppe der Rehabilitand:innen < 65 Jahren analysiert wurde.

Abb. 3: Nach dreiwöchiger stationärer Rehabilitation zeigt sich eine deutliche Verbesserung der selbst eingeschätzten Arbeitsfähigkeit von Krebspatient:innen.2

Rehabilitationsangebote in Österreich

In Österreich existiert ein passabel ausgebautes stationäres Rehabilitationsangebot. Für die ambulante onkologische Rehabilitation gibt es einige qualifizierte Anlaufstellen. Genau diese ambulante onkologische Rehabilitation ist die Basis für Themen wie „Return to Work“ – auch unter dem Gesichtspunkt des Wiedereingliederungsteilzeitgesetzes (siehe Artikel „Herausforderungen aus arbeitsmedizinischer Sicht“, Seite 27) – sowie auch für Menschen, die keinen stationären Aufenthalt wahrnehmen können oder möchten (z.B. Alleinerzieher:innen). Seit 1.1.2018 ist zusätzlich die Telerehabilitation additiv der ambulanten und stationären Rehabilitation zur Seite gestellt, und es existieren auch dafür bereits einige vielversprechende Ansätze.

Rehabilitation im universitären Setting

Universitär lebt das Thema seit einem Vierteljahrhundert von der interdisziplinären Vernetzung. An der Universitätsklinik für Physikalische Medizin, Rehabilitation und Arbeitsmedizin der Medizinischen Universität Wien – Universitätsklinikum AKH Wien gibt es beispielsweise seit 25 Jahren eine interdisziplinäre Spezialambulanz für onkologische Rehabilitation, die seit 2010 interdisziplinär weiter ausgebaut wurde.

Aktuelle Themen in Wissenschaft und Praxis – was braucht es noch?

Nach wie vor herrscht deutlich zu wenig Awareness für das Thema onkologische Rehabilitation. Der Zugang zur Rehabilitation wird außerdem u.a. von der Bildung und vom Haushaltseinkommen sowie vom Geschlecht bestimmt. Zusätzlich gibt es bei der wissenschaftlichen Evaluierung der Wirksamkeit der einzelnen Komponenten der ambulanten und der stationären Rehabilitation sowie vor allem auch bei der Evaluierung des gesamten multimodalen Konstrukts Luft nach oben.
Aktuell wichtige Themen umfassen daher den weiteren, flächendeckenden Aufbau ambulanter, wohnortnaher Möglichkeiten zur onkologischen Rehabilitation sowie der Telerehabilitation. Weiters ist die Entwicklung von Strategien und Programmen, welche die Nachhaltigkeit der Maßnahmen sowie die Eigenverantwortung der Patient:innen erhöhen können, ebenso relevant wie die laufende Evaluierung der Adhärenz. Die Beachtung von Einkommens-, Diversity- und Senioritätsaspekten sowie des Themas „Arbeitsfähigkeit“ und „Return to Work“, wo die onkologische Rehabilitation eine zentrale Rolle als Nahtstelle zwischen Primärbehandler:innen, Hausärzt:innen und Arbeits- bzw. Betriebsmediziner:innen spielt, sind ebenfalls relevante Themen. Zusätzlicher Forschungsbedarf besteht auch für die Prähabilitation, d.h. für die Nutzung der sogenannten ­prätherapeutischen Zeitperiode ab Diagnoseübermittlung für die Durchführung rehabilitativer oder besser prähabilitativer Maßnahmen, deren Effektivität ­belegt ist.
Die Tatsache, dass immer mehr Menschen mit und nach einer Krebsdiagnose in Österreich leben, erfordert, dass in Zukunft eine weitere Intensivierung der interdisziplinären und interprofessionellen Vernetzung sowie der Zusammenarbeit mit Patientenvertretungen und Selbsthilfegruppen anzustreben sein wird – dies, um weiter und kontinuierlich Awareness für den Nutzen und die Möglichkeiten der onkologischen Rehabilitation und Prähabilitation zu schaffen und um bestehende Angebote weiterzuentwickeln sowie neue zu schaffen. Dies alles bedingt zusätzlich eine gute und transparente Kooperation mit den Kostenträgern und der Politik.

Richard Crevenna

Interessierte sind herzlich eingeladen, sich unter 
richard.crevenna@meduniwien.ac.at aktiv einzubringen.

 

1 Lehmann T et al. Associations of age and sex with the efficacy of inpatient cancer rehabilitation: results from a longitudinal observational study using electronic patient-reported outcomes. Cancers 2023: 15 (6), 1637. 
2 Licht T et al. Evaluation by electronic patient-reported outcomes of cancer survivor's needs and the efficacy of inpatient cancer rehabilitation in different tumor entities. Support Care Cancer 2021: 29, 5835-5864. 
* Die Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS) ist ein Fragebogen zur Selbstbeurteilung von depressiven Symptomen und Angstsymptomen. Es werden je 7 Fragen zu Angst und Depression gestellt, mit vierstufigen Antwortmöglichkeiten. Für jede Antwort gibt es Punkte von 0 bis 3, die addiert und als Skala dargestellt werden. Die Werte werden folgendermaßen interpretiert: 0–7 unauffällig; 8–10 suspekt/auffällig; 11–21 klinisch bedeutsam