Onkologika im Kontext von europäischer Health-Technology-Assessment(HTA)- Verordnung und österreichischem Bewertungsboard

Ab Jänner 2025 ist die 2022 in Kraft getretene EU-HTA-Verordnung (Health Technology Assessment Regulation – HTAR) rechtsverbindlich umzusetzen. Das bedeutet, dass zunächst alle neu zugelassenen Onkologika und Arzneimittel für neuartige Therapien (Advanced Therapy Medicinal Products – ATMP), später auch Arzneimittel für seltene Erkrankungen (Orphan Drugs) und bestimmte Medizinprodukte einem gemeinsamen europäischen klinischen Assessment (Joint Clinical Assessment – JCA) zu unterziehen sind. Der JCA-Prozess wird von der europäischen HTA-Koordinierungsgruppe geführt und evaluiert den therapeutischen Zusatznutzen einer neuen medikamentösen (Krebs-)Therapie im Vergleich zu in den Mitgliedsstaaten bereits vorhandenen und erstattungsfähigen Therapiealternativen. Der Prozess sieht die Einbindung zahlreicher Stakeholder wie Patientenvertretungen sowie von klinischen Expert:innen vor. Die konkrete Nutzenbewertung des Arzneimittels (Health Technology Assessment) wird jeweils von sogenannten Assessors zweier ausgewählter europäischer HTA-Institutionen durchgeführt.
Da die JCAs alle klinischen Einsatzszenarien, die EU-weit für ein neues Medikament möglich sind, bewerten sollen, müssen die Mitgliedsstaaten bereits am Beginn des europäischen JCA-Prozesses für jedes Produkt an die EU melden, mit welcher Therapiealternative das neue Arzneimittel jeweils national zu vergleichen ist und mit welchen Parametern der Therapieerfolg jeweils national dargestellt werden soll (z.B. Lebensqualität, Gesamtüberleben). Die Ergebnisse der JCA werden innerhalb von 30 Tagen nach EMA-Zulassung eines Medikaments publiziert und sind in den darauffolgenden nationalen Entscheidungsprozessen verpflichtend zu berücksichtigen. Wesentlich ist, dass das JCA lediglich den therapeutischen Zusatznutzen eines neuen Medikaments, nicht aber dessen Wirtschaftlichkeit (die basierend auf den Preisverhandlungen in den einzelnen Mitgliedsstaaten variieren kann) oder andere nicht-klinische Faktoren beschreibt.
In Österreich werden Entscheidungen über die Refundierung von Medikamenten an unterschiedlichen Stellen getroffen (für den niedergelassenen Bereich im Dachverband der Sozialversicherungen und zu Spitalsmedikamenten dezentral in den regionalen Krankenanstalten[verbünden]). Daher ergibt sich ein erheblicher Koordinierungsaufwand, um in den Gremien auf EU-Ebene (z.B. HTAR Coordination Group) mit einer Stimme zu sprechen und gleichzeitig alle Bedarfe der österreichischen Kostenträger zu berücksichtigen sowie die Verwendung der JCA in den entsprechenden österreichischen Entscheidungsprozessen sicherzustellen.

Etablierung eines nationalen Bewertungsboards

Unter anderem angestoßen durch die HTA-Verordnung, sieht die aktuelle Fassung des österreichischen Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetzes (KAKuG) daher die Etablierung eines nationalen Bewertungsboards für ausgewählte hochpreisige und spezialisierte Arzneispezialitäten im intramuralen Bereich bzw. an der Nahtstelle zwischen intra- und extramuralem Bereich vor. Das inkludiert auch Onkologika. Das Bewertungs­board, dessen Geschäftsstelle beim zuständigen Bundesministerium eingerichtet ist, dient der Aufbereitung von bundesweiten Empfehlungen für eine einheitliche Anwendung und für die Unterstützung von Preisverhandlungen dieser Medikamente. Auch hierfür ist entsprechend dem Gesetz auf Health Technology Assessments, die den medizinisch-therapeutischen Zusatznutzen im Vergleich zu Behandlungsalternativen, aber auch nicht-klinische Aspekte (z.B. organisatorische Begleitmaßnahmen bei der Implementierung eines neuen Arzneimittels, Kosteneffektivität, Budgetfolgen) darstellen, zurückzugreifen. Eine Geschäftsordnung wurde im Juni 2024 beschlossen. Seit Herbst 2024 werden nach einer Pilotierung ausgewählte Medikamente kontinuierlich im Rahmen des Bewertungsboards evaluiert.

Basis für Preisverhandlungen und Anwendungsempfehlungen

Es ergibt sich von selbst, dass die europäische HTA-Verordnung und die Aufgaben rund um das Bewertungsboard zu verschränken sind. Liegt zu einem Arzneimittel, das im Bewertungsboard behandelt wird, ein JCA vor, dann ist dieses – angereichert mit österreichischen Kontextinformationen etwa zur Anzahl betroffener Patient:innen oder zu notwendigen organisatorischen Vorkehrungen – die Basis für Preisverhandlungen und Anwendungsempfehlungen in Österreich. Liegt kein JCA vor, wird ein separates HTA für Österreich erstellt, das die JCA-Methoden anwendet. Die neu aufgebaute Struktur des Bewertungsboards dient zudem dazu, Informationen, die europäische Assessors aus den Mitgliedsstaaten benötigen, rasch einzuholen und zu koordinieren.

Durch die zentrale Durchführung der Nutzenbewertung auf europäischer Ebene sollen nicht nur Redundanzen in Europa bei der Nutzenbewertung neuer Medikamente der Vergangenheit angehören, sondern es soll auch ein europaweit hoher Qualitätsstandard aller Assessments gewährleistet werden. Zusätzlich sollen ein rascher Zugang sowie die Verfügbarkeit und Erschwinglichkeit echter Innovationen unterstützt werden.

FACT-BOX

Was bedeuten die Umsetzung der EU-HTAR ab Jänner 2025 und die Etablierung des nationalen Bewertungsboards ab September 2024 für die onkologische Versorgung in Österreich?

Änderungen für onkologische Neuzulassungen ab 2025
Ab Jänner 2025 erfolgt die Nutzenbewertung aller neu zugelassenen Onkologika in der EU gemeinsam auf europäischer Ebene (JCA – Joint Clinical Assessment). Nationale Unterschiede im aktuellen Therapiestandard werden berücksichtigt, indem die Mitgliedsländer während des Prozesses die jeweiligen nationalen Anwendungsszenarien für ein neues Medikament (PICO – Population, Innovation, Comparator, Outcome) einmelden. Wenn der Prozess so funktioniert wie geplant, ist zu erwarten, dass die tatsächlichen österreichischen Anwendungsszenarien neuer Onkologika in den JCAs ausreichend abgebildet sind und Österreich mit den JCAs eine objektive Nutzenbewertung als Entscheidungsgrundlage für den Einsatz und die Refundierung neuer Onkologika erhält. Die Entscheidung über die Refundierung wird weiterhin in Österreich getroffen.

Onkologika im nationalen Bewertungsboard
Das Bewertungsboard entwickelt auf Basis von HTAs bundesweite Anwendungsempfehlungen für hochpreisige und spezialisierte Arzneimittel, unabhängig davon, ob es sich um Onkologika handelt, und unabhängig davon, wie lange ein Medikament bereits in Österreich zugelassen oder verfügbar ist. Es ist weder geplant, jedes neu zugelassene onkologische Medikament in Österreich durch das Bewertungsboard zu evaluieren, noch wird das Bewertungsboard ausschließlich Neuzulassungen behandeln. Die Arbeit des Bewertungsboards ist seit Herbst 2024 im Aufbau und wird zunächst hochpreisige Medikamente für seltene Indikationen betreffen. Nachdem viele hochpreisige Neuentwicklungen in den Bereich der Onkologika fallen und dem Board aufgrund der EU-HTAR die Erstellung eines eigenen HTA erspart wird, ist anzunehmen, dass hämato-onkologische Neuzulassungen von einer Bewertung durch das nationale Bewertungsboard oftmals erfasst sein werden. Auch die vorgesehenen Preisverhandlungen mit den Herstellern neuer Medikamente werden helfen, Transparenz und Fairness im System zu erhöhen.

Die Rolle der OeGHO
Die Österreichische Gesellschaft für Hämatologie & Medizinische Onkologie (OeGHO) unterstützt eine transparente, zeitnahe und methodisch nachvollziehbare Diskussion über den Nutzen von neuen Onkologika. Genauso wie eine Verzögerung des Zugangs zu Innovation Lebenszeit kostet, führt der Einsatz von wenig wirksamen Therapien zu Nebenwirkungen bei Patient:innen und gleichzeitig zu volkswirtschaftlichem Schaden. Daneben ist klar, dass viele aktuelle Entwicklungen unsere Gesellschaft vor finanzielle Herausforderungen stellen, sodass die Allokation knapper finanzieller Mittel – sei es für Medikamente, Pflege, Kinderbetreuung, Integration etc. – immer ein Abwägungsprozess ist, den Gesellschaften möglichst transparent und offen führen sollten. Die OeGHO sieht es in diesem Prozess als ihre Aufgabe, fachlicher Ansprechpartner für Behörden und Entscheidungsträger:innen im Board zu sein, um basierend auf wissenschaftlich fundierten Daten und unter Berücksichtigung der klinischen Praxis in Österreich faktenbasierte, ausgewogene und nachvollziehbare Entscheidungen hinsichtlich des Einsatzes medikamentöser Innovationen sicherzustellen.

Ingrid Zechmeister-Koss,
Claudia Wild