Oft unterschätzt:

Die soziale Dimension von Krebs

„Seit meiner Krebsdiagnose habe ich buchstäblich alles verloren, was mir wichtig war – meine Gesundheit, meinen Partner, meinen Job. Manchmal frage ich mich, wozu ich eigentlich noch kämpfen soll.“ – Eva T., Unterleibskrebs

Die soziale Dimension von Krebs umfasst eine Vielzahl von Aspekten, die das soziale Leben von Betroffenen beeinflussen können. Dazu gehören soziale Isolation und Stigmatisierung, Auswirkungen auf das Familien- und Beziehungsleben, krankheitsbedingte finanzielle Belastungen bis zum Verlust des Arbeitsplatzes und finanzielle Not.
Aus internationalen Studien ist bekannt, dass Krebspatient:innen durch die Kosten von Medikamenten und den Verlust des Einkommens finanziell stark belastet sind, sodass zum Teil ganze Familien nach der Krebsdiagnose eines Familienmitglieds von sogenannten „catastrophic health expenditures“ (katastrophalen Gesundheitsausgaben) betroffen sind.¹ Diese Daten stammen hauptsächlich aus den USA und aus Ländern mit einem weniger guten sozialen Netz als Österreich.
Hierzulande stellen die Verfügbarkeit und der Umfang der österreichischen Gesundheitsversorgung und die Sozialversicherung sicher, dass ein großer Teil der Kosten für Krebspatient:innen abgedeckt wird. Der Eindruck, das lückenlose österreichische Sozialsystem sei in der Lage, Krebspatient:innen vor allen finanziellen und sozialen Risiken infolge einer Krebserkrankung zu schützen, ist aber falsch. Für unser Nachbarland Deutschland, das über ein ähnliches Sozialsystem wie Österreich verfügt, wurde kürzlich gezeigt, dass das Arbeitseinkommen von Krebspatient:innen nach der Diagnosestellung um knapp 30% sinkt, was auf Arbeitslosigkeit und verringertes Arbeitsausmaß zurückzuführen ist.2 Zusätzlich müssen Krebspatient:innen eine Vielzahl von Selbstbehalten für Medikamente, medizinische Verordnungen, Transporte und Ähnliches aufbringen. Zahlreiche Studien aus Deutschland belegen mittlerweile, dass diese Kosten mehrere Hundert Euro im Monat betragen können und zu einer hohen finanziellen und psychischen Belastung von Krebspatient:innen führen.3 Wenn auch weniger gut durch publizierte Daten belegt, ist die Situation hierzulande eine ähnliche. Allein die zunehmende Anzahl Betroffener, die sich aus finanziellen Gründen an die Österreichische Krebshilfe wenden, zeigt die prekäre Situation, in die viele Krebspatient:innen auch in Österreich nach Diagnosestellung geraten.

Arbeiten oder Krankenstand?

Ein ganz wesentlicher Bestandteil im Leben vieler Krebspatient:innen ist ihr Beruf. Berufstätig zu sein ist die Grundlage für finanzielle Sicherheit, bietet den Rahmen für gesellschaftliche und soziale Identität und verleiht dem Leben Sinn und Struktur. Ein Teil der Patient:innen ist dennoch gezwungen, für die Dauer der Therapie in den Krankenstand zu gehen, da ihre Berufstätigkeit körperlich zu beanspruchend ist. Andere nehmen sich zunächst vor weiterzuarbeiten (nicht zuletzt auch aus Angst vor einer Kündigung) und laufen damit Gefahr, sich zu überfordern. Es ist gut belegt, dass die Prävalenz von Fatigue, also unüberwindbarer Müdigkeit, während oder kurz nach einer Chemotherapie bei fast 90% liegt.4 Die Betroffenen sind kaum in der Lage, ihren Alltag alleine zu meistern, geschweige denn, ihrer Berufstätigkeit in gleichem Ausmaß wie vor der Diagnosestellung nachzugehen. Die allermeisten Patient:innen kommen daher bald zu der – oft bitteren – Einsicht, dass sie ihre volle Leistung im Moment, vorübergehend oder auch dauerhaft nicht (mehr) in dem Ausmaß erbringen können wie vor der Erkrankung, und gehen daher in den Krankenstand.

Einkommenseinbußen durch Krankenstand und krankheitsbedingte Mehrausgaben

Wer in Österreich im Krankenstand ist, realisiert spätestens nach der zeitlich befristeten (in der Regel sechswöchigen) Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber, dass das Krankengeld um ca. 50% niedriger ist als das Gehalt. Für die Mehrheit der Patient:innen und ihre Angehörigen haben diese finanziellen Einbußen große Auswirkungen auf ihre Existenz und das ganze Leben, da alle Fixkosten wie Miete oder auch die Unterstützung von Angehörigen wie Kindern ja weiterlaufen. Wie oben erwähnt, entstehen gleichzeitig zusätzliche Kosten: Auch wenn die medizinischen Behandlungen für Krebspatient:innen in der Regel kostenfrei sind, fallen Selbstbehalte, Rezeptgebühren, Fahrtkosten u.v.m. an. Die Differenz zwischen verfügbarem Einkommen und Fixkosten gerät dadurch selbst bei Patient:innen, die in vermeintlich stabilen finanziellen Verhältnissen gelebt haben, rasch in Schieflage.

Kündigung im Krankenstand 

Bereits im Krankenstand gilt es, einiges zu beachten – von der Dauer des Krankenstandes bis zur Möglichkeit, den Krankenstand bei Bedarf verlängern zu können. Ist die ­Arbeitsfähigkeit am Ende des Krankenstandes dennoch nicht gegeben, ist eine Reihe von Fragen zu klären, um sich während der physisch wie psychisch anstrengenden Zeit der medizinischen Behandlung nicht zusätzlich – berechtigte – Sorgen um den Arbeitsplatz machen zu müssen. Denn noch drastischer als der vorübergehende Einkommensverlust durch einen Krankenstand ist eine Kündigung während der Krebsbehandlung.

Was viele Krebspatient:innen nicht wissen: Die derzeitige Gesetzeslage in Österreich erlaubt eine Kündigung durch den Dienstgeber im Krankenstand. Laut einer aktuellen Umfrage der Arbeiterkammer wurde jede:r 12. Befragte schon einmal im Krankenstand gekündigt. Auf diesen für schwer kranke Menschen besonders belastenden Umstand hat die Österreichische Krebshilfe wiederholt öffentlich aufmerksam gemacht – zuletzt im Mai 2024, nachdem die Wirtschaftskammer Österreich (WKO) eine Anleitung veröffentlicht hatte, wie Dienstnehmer im Krankenstand während ihres Spitalsauf­enthalts rechtskonform gekündigt werden können:
„Befindet sich ein Arbeitnehmer im Krankenhaus, ist eine schriftliche Kündigung ins Krankenhaus zu übersenden. Eine durch die Post zugestellte Kündigung gilt dann als wirksam zugestellt, wenn der Kündigungsbrief auf dem Nachtkästchen deponiert bzw. in einem für den Patienten bestimmten Postfach abgegeben wird.“

Diese „Anleitung“ zur Kündigung fand sich auf der Website der WKO und sorgte bei Krebspatient:innen, An- und Zugehörigen sowie der Österreichischen Krebshilfe für Entrüstung. Noch am Abend der erstmaligen Ausstrahlung dieses Aufschreis in der ZIB 1 (17. 5. 2024) und Berichten der Kronen Zeitung entfernte die WKO diese „Rechtsauskunft“. Die Berichte führten zu einer öffentlichen Diskussion über den fehlenden effektiven Kündigungsschutz für schwer kranke Menschen.

Bedingter Schutz gegen Kündigung im Krankenstand

Krebspatient:innen haben zwar das Recht, einen Antrag auf einen „begünstigten Behindertenstatus“ zu stellen, welcher vermeintlich vor einer Kündigung schützt. In der Realität ist dieser Schutz allerdings nur bedingt gegeben: Sollte eine Kündigung trotz „begünstigtem Behindertenstatus“ erfolgen, muss diese vor einem Schiedsgericht beim Sozialministerium mit dem Arbeitgeber verhandelt werden. Laut Krebshilfe kommt es dabei in den meisten Fällen nicht zu einer Rücknahme der Kündigung, sondern lediglich zu Abschlagszahlungen bei gleichzeitigem Verlust des Arbeitsplatzes. Somit besteht für Krebspatient:innen in Österreich aktuell kein effektiver Kündigungsschutz.

Krankenstand zu Ende, aber noch nicht zu 100% leistungsfähig

Für all jene Krebspatient:innen, die das Glück haben, dass der Arbeitgeber nicht von seinem Recht Gebrauch macht, eine Kündigung auszusprechen, bedeutet das Ende der Therapie auch in der Regel das Ende der offiziellen Arbeitsunfähigkeit (Ende des Krankenstandes). Auch wenn die Zeit der kräfteraubenden Therapien vorbei ist oder sich Patient:innen an eine dauerhafte Therapie „gewöhnt“ haben und sich zu einem gewissen Teil arbeitsfähig fühlen, spüren sie dennoch, dass sie ihre volle Leistung – verständlicherweise – (noch) nicht erbringen können. Eine zum Teil jahrelang anhaltende deutliche Leistungsminderung nach einer Chemotherapie ist durch Daten sehr gut belegt und betrifft ein Viertel bis zu einem Drittel der Patient:innen.4 Bis zur Einführung der Wiedereingliederungsteilzeit in Österreich im Jahr 2017 wurden Patient:innen in dieser Situation faktisch gezwungen, sich für ein „Entweder – Oder“ zu entscheiden: entweder so lange im Krankenstand zu bleiben, bis sie zu 100% einsatzfähig waren, oder zu 100% arbeiten zu gehen, obwohl sie sich nur zum Teil einsatzfähig fühlten – eine Situation, auf die Patient:innen, Ärzt:innen und vor allem die Krebshilfe immer wieder hingewiesen hatten und die mit der Einführung der   Wiedereingliederungsteilzeit zumindest in einem Teilbereich neu geregelt werden konnte.

Wiedereinstieg in den Beruf nach Krebs-Wiedereingliederungsteilzeit

Die sogenannte Wiedereingliederungsteilzeit (WIETZ) bietet seit Juli 2017 eine Möglichkeit, sich den Belastungen des Berufes sanft und stufenweise wieder anzunähern. Während der Wiedereingliederungsteilzeit bezieht die Arbeitnehmerin bzw. der Arbeitnehmer neben dem Lohn bzw. Gehalt aus der Teilzeitbeschäftigung ein Wiedereingliederungsgeld der Krankenkasse. Wichtig ist allerdings zu wissen, dass es darauf keinen Rechtsanspruch gibt. Die Wiedereingliederungsteilzeit ist von der Zustimmung des Arbeitgebers abhängig, sodass diese Möglichkeit leider nicht allen Krebspatient:innen zur Verfügung steht.
Für den vorliegenden Beitrag hat die Krebshilfe die Daten der ÖGK über die Wiedereingliederungsteilzeit von Krebspatient:innen seit 2018 eingeholt. Sie sind in Abbildung 1 dargestellt und zeigen, dass es trotz eines Anstiegs seit ihrer Einführung weiterhin nur wenige Bezieher:innen von WIETZ gibt. Der Grund dafür dürfte in der oben erwähnten Freiwilligkeit aufseiten des Arbeitgebers liegen. Die Daten zeigen außerdem, dass mehr als ein Drittel der WIETZ-Bezieher:innen (33,5%) Frauen mit Brustkrebs sind. Fast die Hälfte aller Bezieher:innen (47,2%) ist zwischen 50 und 59 Jahre alt, was die große Bedeutung der Rückkehr ins Berufsleben auch für ältere Arbeitnehmer:innen unterstreicht. Hingegen ist die Inanspruchname von WIETZ durch Personen über 60 Jahren sehr gering, obwohl die Inzidenz von Krebs mit dem Alter steigt. Wie auch der Beitrag „Die Auswirkungen einer Krebsdiagnose auf die Erwerbstätigkeit in Österreich“  (ab Seite 12) zeigt, liegt dies daran, dass Menschen, die nach dem 60. Lebensjahr von einer Krebserkrankung betroffen sind, in Österreich meist nicht mehr in den Beruf zurückkehren.

WIETZ-Bezieher mit Krebsdiagnose nach Jahren und Altersdekade

 

Abb. 1: Inanspruchnahme von Wiedereingliederungsteilzeit (WIETZ) durch Krebspatient:innen

Quelle: Österreichische Gesundheitskasse

10 Jahre „Soforthilfefonds der Österreichischen Krebshilfe“ 

Der Krebshilfe-Soforthilfefonds wurde 2014 ins Leben gerufen, weil eine zunehmend schwierige finanzielle Situation für viele Patient:innen und Angehörige durch Jobverlust, Einkommenseinbußen und krankheitsbedingte Mehrausgaben deutlich erkennbar wurde. Die Situation hat sich in den vergangenen Jahren durch die bekannten Auswirkungen der Coronapandemie und die massiven Teuerungen verschärft. Hauptbetroffen sind alleinerziehende Krebspatient:innen, Pensionist:innen und junge Paare. Dies wird auch durch die aktuellen Zahlen der Armutskonferenz deutlich: 17,7% der österreichischen Bevölkerung (1.555.000 Menschen) sind armuts- oder ausgrenzungsgefährdet,5 besonders betroffen sind Menschen mit chronischen Erkrankungen wie Krebs.
Die Zunahme der Anträge für finanzielle Soforthilfe in den letzten zehn Jahren (Abbildung 2) zeigt den enormen und steigenden Bedarf von Krebspatient:innen an finanzieller Unterstützung. Die ­Tatsache, dass ein großer Teil der Beträge Lebensmittelzuschüsse sind (Abbildung 3), belegt, dass selbst Bedürfnisse des täglichen Lebens von vielen Krebspatient:innen nicht mehr ausreichend finanziert werden können. Der hohe Anteil der „Krankheitskosten“ (Abbildung 3) wiederum spiegelt die Lücken des österreichischen Sozialsystems in der Abdeckung krankheitsspezifischer Ausgaben von Krebspatient:innen wider.

Anzahl der Soforthilfe-Anträge pro Jahr

 

 

Abb. 2: Soforthilfe-Anträge bei der Österreichischen Krebshilfe zur finanziellen Unterstützung von Krebspatient:innen

Quelle: Österreichische Krebshilfe

Ausbezahlte Beträge in € seit 2014 Aufteilung nach Unterstützungsart

 

Abb. 3: Von der Österreichischen Krebshilfe seit Gründung des Soforthilfefonds ausbezahlte Beträge, gegliedert nach Art der Unterstützung

Quelle: Österreichische Krebshilfe

Aufklärung, Hilfs- und Unterstützungsangebote

Die soziale Unterstützung und das soziale Umfeld spielen eine wichtige Rolle bei der Bewältigung von Krebs und können großen Einfluss auf die Lebensqualität von Patient:innen haben. Es ist daher wichtig, dass Betroffene und ihre Angehörigen Unterstützung erhalten, sei es durch professionelle Hilfe, Selbsthilfegruppen oder durch ein unterstützendes soziales Netzwerk. Die Österreichische Krebshilfe bietet ein breites Informationsspektrum unter www.meinekrebshilfe.net, den YouTube-Kanal der Österreichischen Krebshilfe oder durch direkte Beratungsgespräche. Die Kontaktinformation zu den 63 österreichweiten Krebshilfe-Beratungsstellen finden Sie auf ­
www.krebshilfe.net.

Die Krebshilfe-Broschüren sind kostenfrei erhältlich unter service@krebshilfe.net oder als Download auf www.krebshilfe.net.

 

Doris Kiefhaber

 

1Altice CK, Banegas MP, Tucker-Seeley RD, Yabroff KR. Financial hardships experienced by cancer survivors: a systematic review. J Natl Cancer Inst 2016 Oct 20; 109(2):djw205. DOI: 10.1093/jnci/djw205; PMID: 27754926; PMCID: PMC6075571
2 Hernandez D, Schlander M. Income loss after a cancer diagnosis in Germany: an analysis based on the socio-economic panel survey. Cancer Med 2021 Jun; 10(11):3726–40. DOI: 10.1002/cam4.3913; EPUB: 2021 May 10; PMID: 33973391; PMCID: PMC8178494
3 Leuteritz K, Friedrich M, Sender A, Nowe E, Stoebel-Richter Y, Geue K. Life satisfaction in young adults with cancer and the role of sociodemographic, medical, and psychosocial factors: results of a longitudinal study. Cancer 2018 Nov 15; 124(22):4374–82. DOI: 10.1002/cncr.31659; EPUB: 2018 Sep 10; PMID: 30198085
4 Bower JE. Cancer-related fatigue – mechanisms, risk factors, and treatments. Nat Rev Clin Oncol 2014 Oct; 11(10):597–609. DOI: 10.1038/nrclinonc.2014.127; EPUB: 2014 Aug 12; PMID: 25113839; PMCID: PMC4664449
5 Statistik Austria, EU-SILC 2018–2023, April 2024