Fortschritte in der Versorgung von Menschen mit Krebs

PatientInnen mit Krebs profitieren von innovativen diagnostischen Verfahren und Therapien. Lange Zeit galt die Operation als einzige Behandlungsform von Krebs. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts wurde die erste radikale Mastektomie zur Behandlung von Brustkrebs durchgeführt. Bei Experimenten mit Kathodenstrahlröhren entdeckte Wilhelm Conrad Röntgen eine neue Art von Strahlen, mit denen nicht nur Organe, sondern später auch die Lage von Tumoren der weiblichen Brust erfasst werden konnten. Die Erkenntnis, dass Strahlen den Körper nicht nur durchleuchten, sondern auch direkt auf Gewebe einwirken können, etablierte die Erforschung und weitere Entwicklung der Strahlenbehandlung.
Durch wissenschaftliche Arbeiten des Pathologen George Papanicolaou gelang es im Jahr 1943, veränderte Zellen zu identifizieren, aus denen sich später Krebszellen entwickeln. Diese Forschung legte den Grundstein dafür, nicht nur den Prozess von einer gesunden Zelle in eine erkrankte Zelle zu beobachten und zu verstehen, sondern auch Krebserkrankungen durch Früherkennung abzuwenden. Der sogenannte „Pap-Abstrich“ (Papanicolaou-Abstrich) gehört heute selbstverständlich zu den Früherkennungsmaßnahmen gegen Gebärmutterhalskrebs. Die erste erfolgreiche Knochenmarktransplantation an PatientInnen, die keine eineiigen Zwillinge waren, wurde von Georges Mathé (Frankreich) 1959 an Physikern, die bei einem Unfall in einem Kernkraftwerk schwere Strahlenschädigungen erlitten hatten, durchgeführt und damit das Potenzial von Knochenmarkstransplantationen gezeigt.

In den darauffolgenden Jahren wurde zunehmend der Stellenwert von genetischen Veränderungen in der Entstehung von bösartigen Zellen nachgewiesen und mit der Entdeckung des „Philadelphia-Chromosoms“ erstmals eine genetische Veränderung in Tumorzellen von PatientInnen mit Leukämie beschrieben. Die Identifizierung und Detektion von genetischen Veränderungen bzw. bestimmten molekularen Merkmalen von Tumorgewebe, u.a. das CD20-Antigen bei Lymphomen, ermöglichten in weiterer Folge die Entwicklung von sogenannten Antikörpertherapien. Antikörper binden an Rezeptoren der Krebszelle und hemmen in weiterer Folge molekulare Signalwege, die für das Tumorwachstum verantwortlich sind. Antikörpertherapien haben den Grundstein für individuelle und maßgeschneiderte Therapien, u.a. gegen den HER-positiven Brustkrebs, gelegt. Für rund ein Drittel aller Frauen mit Brustkrebs stellt eine gegen HER2 gerichtete Antikörpertherapie, allein oder in Kombination mit anderen Substanzen, die Standardtherapie dar.
Ein weiterer Meilenstein für das grundlegende Verständnis von Krebs und die Individualisierung von Tumortherapien war die Initiierung und Etablierung des „Cancer Genome Atlas“ ab dem Jahr 2006. Dieser katalogisiert genetische Veränderungen, die für Krebsentstehung und Krebswachstum verantwortlich sind, und bietet ForscherInnen eine wissenschaftliche Plattform, um die Diagnose, Therapie, Vorsorge und Früherkennung von Krebs zu verbessern. Forschung hilft Heilungsraten bei Krebserkrankungen kontinuierlich zu verbessern.

Bereits zu Beginn des vorigen Jahrhunderts wurde der große Bedarf einer Versorgung von KrebspatientInnen erkannt. Dies führte 1910 zur Gründung „K.K. Österreichischen Gesellschaft für Erforschung und Bekämpfung der Krebskrankheit“ – heute Österreichische Krebshilfe – unter dem Protektorat von Kaiser Franz Josef I. Zwei Weltkriege haben diese ersten Bestrebungen zur Krebsbekämpfung unterbrochen.
1953 wurde das Österreichische Krebsforschungsinstitut von der Österreichischen Krebsgesellschaft in Wien gegründet. Das nunmehrige Zentrum für Krebsforschung (ZKF) der Medizinischen Universität Wien (MUW) hat – damals wie heute – den Auftrag, durch Forschung neue wissenschaftliche Erkenntnisse zur Krebsentstehung und -progression, über Risikofaktoren und Prävention bzw. zur Verbesserung von Methoden für die Diagnose und Therapie zu erarbeiten. Seine Aufgabe ist es, dieses Wissen zur Verhütung sowie Heilung der Krebserkrankung einzusetzen und es auch in der Lehre zu vermitteln. Das ZKF fungiert im internationalen Rahmen als österreichisches Referenzzentrum und wirkt als nationales Kompetenzzentrum für experimentelle und angewandte Krebsforschung.
In Österreich wird von verschiedensten weiteren Institutionen wie Instituten, Kliniken und Krankenanstalten erfolgreich Krebsforschung betrieben. Kooperationen bei gemeinsamen Programmen auf nationaler Ebene, aber auch mit internationalen Forschungseinrichtungen sichern wichtige Fortschritte im Kampf gegen Krebs.

Die genaue Beobachtung des Erkrankungs- bzw. Heilungsverlaufs ist auf individueller Patientenebene genauso notwendig wie im Patientenkollektiv, um den Nutzen medizinischer Handlungen von der Diagnosestellung zur Therapie beurteilen zu können. Um die Fortschritte in Wissenschaft und Medizin zu analysieren und zu dokumentieren, wird eine Vielzahl klinischer Studien durchgeführt. Für die Volksgesundheit ist es allerdings entscheidend, welche Erfolge tatsächlich in der Bevölkerung ankommen.
Der Benefit auf Bevölkerungsebene lässt sich vor allem durch Daten der „amtlichen“ Gesundheitsstatistik beurteilen. Neben der Todesursachenstatistik als härtestes Kriterium stehen seit dem Berichtsjahr 1983 Daten zu Krebserkrankungen aus dem Österreichischen Nationalen Krebsregister zur Verfügung. Die Krebsstatistik enthält neben Informationen zur Krebserkrankung auch Angaben zu Alter, Geschlecht und Wohnregion der PatientInnen und bildet Erkrankungshäufigkeiten und -risiken sowie die Sterblichkeit in den Kennzahlen Inzidenz, Mortalität, Prävalenz und Überlebenswahrscheinlichkeit nach Diagnose ab.
Die großen Fortschritte in Wissenschaft und Medizin sowie in den Bereichen Früherkennung, Diagnostik, Therapie und Nachsorge haben die Chancen für PatientInnen mit Krebs entscheidend verbessert. Dadurch haben sich die Langzeitüberlebensraten bei den meisten Krebsarten deutlich verbessert und es überleben heute mehr Menschen als je zuvor eine Krebserkrankung. So kann inzwischen mehr als die Hälfte der PatientInnen mit einer dauerhaften Heilung rechnen.

Die umfassende Versorgung von Krebsüberlebenden ist komplex und umfasst Schwerpunkte wie Prävention und Nachsorge, Überwachung und Management der körperlichen Auswirkungen von Krebs und seiner Behandlung, Überwachung und Management psychosozialer Auswirkungen, Überwachung und Management chronischer Erkrankungen sowie Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention. In allen diesen Bereichen spielen Kommunikation und Koordination eine wichtige Rolle. Im letzten Jahrzehnt wurden daher zunehmend effektive Modelle und Schemata für die generelle Betreuung von Menschen nach einer Krebserkrankung entwickelt.
Deutliche Fortschritte konnten auch in der Palliativmedizin gemacht werden. Palliativmedizin ist die aktive, ganzheitliche Behandlung von PatientInnen mit einer fortschreitenden Erkrankung und einer begrenzten Lebenserwartung in einem interdisziplinären Betreuungskonzept, das auch Angehörige miteinbezieht. Zunehmend haben Studien in den vergangenen Jahren gezeigt, wie eine frühzeitige Integration palliativmedizinischer Unterstützung und ein niederschwelliger Zugang den weiteren Erkrankungsverlauf von Menschen mit Krebs positiv beeinflussen.

Im Spannungsfeld von steigendem Kostendruck im Gesundheitswesen, demografischer Entwicklung und gesellschaftlichen Veränderungen steht die optimale und innovative Betreuung von Menschen mit Krebs vor immer neuen Herausforderungen. Mit dem Weltkrebstag, der jedes Jahr am 4. Februar stattfindet, rücken die Initiatoren – unter ihnen die „Union Internationale Contre le Cancer“ (UICC) und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) – die Erkrankung stärker ins Bewusstsein der Menschen. Am Weltkrebstag informieren Patientenverbände, Gesundheitsbehörden sowie Forschungseinrichtungen und onkologische Fachdisziplinen über die Möglichkeiten von Vorbeugung, Früherkennung, Diagnose und Therapie bei Krebserkrankungen.
 

Armin Gerger