Eine Krebserkrankung betrifft nicht nur den eigenen Körper und die eigene Psyche, sie greift auch tief in das soziale Gefüge eines Menschen ein. An diesem Punkt seines Lebens ist man als Betroffener mehr denn je auf Stärke, Stabilität und Unterstützung angewiesen. Doch die Diagnose verändert nicht nur einen selbst, sondern auch das persönliche Umfeld.
Als ich mit Mitte 40 selbst völlig unerwartet eine Krebsdiagnose erhielt, habe ich erlebt: Freundschaften und Beziehungen wandeln sich, manchmal auf schmerzhafte Weise. Menschen, die einem nahestehen, wissen nicht, wie sie mit der Krankheit umgehen sollen. Aus Angst, das Falsche zu sagen, oder weil sie mit ihrer eigenen Ohnmacht konfrontiert werden, ziehen sich manche zurück. Gleichzeitig entstehen jedoch neue Bindungen – mit Menschen, die dasselbe Schicksal teilen, die einfühlsam zuhören oder einfach da sind, ohne viele Worte zu verlieren.
Für mich war es damals schwer, die Balance zu finden: Ich wollte nicht ständig bemitleidet und ausschließlich auf meine Krebserkrankung reduziert werden. Ich sehnte mich danach, weiterhin als der Mensch wahrgenommen zu werden, der ich vor der Diagnose war. Als Vater, Bruder, Freund, Arbeitskollege, auch als politischer Mensch. Gleichzeitig kreisten meine Gedanken ständig um die reale Gefahr, bald zu sterben. Viel zu früh zu sterben.
Fast kindlich naiv habe ich versucht, mit dem Schicksal zu verhandeln. Ich habe mich selbst dafür verflucht, dass ich die Anzeichen der Krankheit zu lange ignoriert habe. Dass ich die Vorsorgeuntersuchungen vernachlässigt habe. Immer schienen die vielen beruflichen und familiären Verpflichtungen wichtiger.
Auch aufgrund dieser persönlichen Erfahrung habe ich mich als Minister für den Ausbau von Vorsorgeprogrammen, für Gesundheitsförderung und für kostenlose Impfungen eingesetzt. Mit der Gesundheitsreform stehen dafür in den nächsten fünf Jahren weit über 1 Mrd. Euro zur Verfügung.
Die kostenlose HPV-Impfung für alle Menschen bis zum 30. Geburtstag wird jedes Jahr Leben retten. Hunderten bleibt die Diagnose Gebärmutterhalskrebs erspart. Dasselbe gilt für das bewährte Brustkrebs-Früherkennungsprogramm. Aktuell arbeiten wir an der Einführung eines Darmkrebs-Screeningprogrammes. Bis das Programm bundesweit verfügbar ist, gibt es Angebote im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung. Aus eigener Erfahrung möchte ich an Sie, liebe Leser:innen, appellieren: Nutzen Sie diese Möglichkeit!
Ist die Krankheit aber ausgebrochen, kommt für die meisten Betroffenen irgendwann der Moment, an dem die eigenen Kräfte nicht mehr ausreichen und man tatsächlich auf die Unterstützung anderer angewiesen ist. Hilfe anzunehmen fällt anfangs schwer, da es ein Eingeständnis der eigenen Verletzlichkeit und der momentanen Grenzen bedeutet.
Vor meiner Krankheit hat mir mein Beruf nicht nur finanzielle Stabilität, sondern auch Selbstverwirklichung und viele soziale Kontakte ermöglicht. Die Vorstellung, meinen Beruf aufgeben oder einschränken zu müssen, hat mich verunsichert. Als Politiker musste ich zudem meine Diagnose auch irgendwann öffentlich machen – um das Gesundwerden zur Hauptsache machen zu können.
Lange Krankenstände, drohende Arbeitslosigkeit, Kosten für Medikamente und (Wahl-)Ärzt:innen – Unterstützung bei einer Krebserkrankung kann nicht allein aus dem persönlichen Umfeld kommen. Auch der Staat hat für gute Rahmenbedingungen zu sorgen: Es braucht finanzielle Absicherung, beste Gesundheitsversorgung als Kassenleistung, mobile Pflege, psychologische und psychotherapeutische Unterstützung und vieles mehr.
Österreich hat einen gut ausgebauten Sozialstaat, eine Gesundheitsversorgung in (immer noch) hoher Qualität. Beides zu erhalten braucht massive Anstrengungen in Zeiten knapper Budgets. Tatsächlich bedarf es in vielen Bereichen sogar eines weiteren Ausbaus.
Ein wichtiger Bereich, gerade für Krebspatient:innen, ist die psychosoziale Versorgung. Hier sind in den letzten Jahren große Schritte gelungen. Die Kassen finanzieren mittlerweile eine Million Psychotherapiestunden pro Jahr. Seit Anfang dieses Jahres gibt es auch für die psychologische Behandlung einen Kostenzuschuss von den Krankenkassen. Ein Kassenvertrag für klinisch-psychologische Behandlungen mit voll finanzierten Therapieplätzen wird gerade verhandelt.
In unserer Leistungsgesellschaft, die Schwäche oder Krankheit oft als Makel betrachtet, erfordert es eine bemerkenswerte Stärke, die eigene Verletzlichkeit offen zu zeigen. Als ehemaliger Krebspatient möchte ich allen Betroffenen Mut zusprechen, sich Unterstützung zu holen. Vor allem möchte ich sie darin bestärken, in dieser lebensverändernden Situation psychoonkologische Begleitung in Anspruch zu nehmen.
Jede Krebserkrankung hat auch eine enorme soziale Tragweite. Persönliche Unterstützung durch Familie, Freunde, Arbeitskollegen und Arbeitgeber muss ergänzt werden durch Sozialleistungen, Pflege und Gesundheitsversorgung. Als Politiker:innen haben wir eine besondere Verantwortung, hier die nötigen Angebote zu schaffen.
Johannes Rauch
Bundesminister für Soziales, Gesundheit,
Pflege und Konsumentenschutz