Angst, Verzweiflung, Wut und Hilflosigkeit sind häufige Reaktionen auf schwerwiegende und traumatisierende Ereignisse, wie es beispielsweise bei einer Krebserkrankung der Fall ist. Diese Reaktionen führen oftmals zu massiven Symptomen wie Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen, Schlafstörungen, Erschöpfung und Angst bis hin zu Depressionen, die die Lebensqualität negativ beeinflussen. Starke psychosoziale Belastungen können auch das Mortalitätsrisiko bei Krebs erhöhen (siehe unten).
Eine:r von zwei Krebspatient:innen ist im Laufe der Erkrankung psychisch signifikant belastet.1–4 Die Erschöpfung (Fatigue) ist eines der häufigsten und belastendsten Folgeprobleme einer Tumorerkrankung bzw. -behandlung. Patient:innen leiden unter atypischer Müdigkeit und Schwäche auf körperlicher Ebene (Energielosigkeit), in emotionaler Hinsicht (Antriebslosigkeit, Selbstwertverlust), aber auch im kognitiven Bereich (Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen). Mögliche Ursachen dieser Symptome können die Krebserkrankung selbst, Folgen der Therapien, Hormonmangel, Schmerzen, Angst, depressive Verstimmungen, Schlafstörungen, Infekte oder Mangelernährung sein.
Mehr als 50% aller Patient:innen2 leiden zusätzlich unter sogenannter Progredienz- oder Rezidivangst, die oft auch nach positivem Abschluss der Behandlung als Angst vor einem Rückfall5 bestehen bleibt. Die Progredienz- und Rezidivangst unterscheidet sich gravierend von neurotischen Angst- und Depressionssymptomen im psychiatrischen Kontext und muss daher – anders als mit herkömmlichen psychotherapeutischen Methoden – von ausgebildeten Psychoonkolog:innen behandelt werden. Erst mit zunehmendem Abstand vom Ende der Behandlung verbessert sich das emotionale Befinden.6
Wesentlich ist zudem, dass auch nach Bewältigung der Erkrankung psychische Langzeitfolgen7,8 bestehen bleiben können. Diese treten mit unterschiedlicher Häufigkeit auf:
Zu den häufigsten psychischen Störungen bei Krebserkrankungen zählen affektive Störungen, hier vor allem die Depression. Unter Depressivität und Niedergeschlagenheit leiden bis zu 58% der Krebspatient:innen, besonders häufig Palliativpatient:innen.9–12
Zahlreiche Studien13–15 belegen einen signifikanten Zusammenhang zwischen psychosozialer Belastung – vorwiegend Angst und Depression – und Krebsmortalität. Je nach Krebserkrankung ist das Krebsmortalitätsrisiko bei Personen mit hoher psychischer Belastung um das 1,3- bis 2-Fache höher als bei Personen mit geringer psychischer Belastung. Einflüsse durch ethnische Zugehörigkeit und Armut können das Risiko weiter erhöhen.
Die Häufigkeit psychischer Belastungen und deren schwerwiegende Folgen verdeutlichen die Notwendigkeit psychoonkologischer Betreuung von Krebspatient:innen. Das Ziel psychoonkologischer Interventionen ist die Krebsbewältigung durch Entwicklung adäquater Bewältigungsstrategien, die Stärkung von Ressourcen, der Erhalt bzw. die Verbesserung der Lebensqualität sowie das Erkennen und Behandeln psychischer Belastungsreaktionen der Patient:innen wie auch ihrer Angehörigen. Die Wirksamkeit von psychotherapeutischen und psychologischen Interventionen bezüglich Depressivität wurde in Metaanalysen und Reviews belegt,16,17 ebenso der positive Effekt von spezifischen psychoonkologischen Interventionen in der Palliativphase hinsichtlich der globalen Lebensqualität.18,19 Psychoonkologische Beratung soll daher Krebspatient:innen und ihren Angehörigen in allen Phasen der Erkrankung bedarfsgerecht und möglichst frühzeitig angeboten werden.20
Gemäß Nationalem Krebsrahmenprogramm ist für alle in Österreich lebenden Menschen mit einer Krebserkrankung und für deren Angehörige sowie auch für Personen mit einem erhöhten Krebsrisiko (familiär, genetisch) ein psychoonkologisches Betreuungsangebot sicherzustellen (BMG 2014a). Auch der Österreichische Strukturplan Gesundheit (ÖSG; BMGF 201 7b) sieht vor, dass die Psychoonkologie als integraler Bestandteil der multiprofessionellen Zusammenarbeit verankert ist. Der Ergebnisbericht „Psychoonkologie in Österreich – Band 1“ des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz aus dem Jahr 2018 weist allerdings darauf hin, dass Psychoonkologie in Österreich zwar prinzipiell fachlich-wissenschaftlich implementiert ist, es allerdings hinsichtlich Personalausstattung und Niederschwelligkeit der Angebote sowie Vernetzung zwischen den Versorgungsträgern noch massiven Handlungsbedarf gibt.
Nicht zuletzt ist durch die zunehmende ambulante Behandlung von Krebspatient:innen der Bedarf einer ambulanten psychoonkologischen Betreuung von Patient:innen deutlich gestiegen. Die Lücken psychoonkologischer Versorgung im (ambulanten und stationären) Spitalsbereich können allerdings außerhalb der Spitäler nicht abgedeckt werden, da es im niedergelassenen Bereich nur eine geringe Anzahl versorgungsrelevanter Berufsgruppen (wie Psychotherapeut:innen, Ärzt:innen mit psychoonkologischer Qualifizierung) gibt. Im Bereich der ambulanten psychoonkologischen Versorgung von Krebspatient:innen und deren Angehörigen bietet daher die Österreichische Krebshilfe (durch die 9 regionalen Krebshilfe-Landesorganisationen mit rund 60 angeschlossenen Beratungsstellen) Patient:innen und Angehörigen kostenlose psychoonkologische Betreuung an. Dieses Angebot wird überwiegend durch Spenden finanziert.
Seit 1. Jänner 2024 ist – nach jahrelanger Forderung des Berufsverbandes Österreichischer PsychologInnen (BÖP) und der Österreichischen Krebshilfe – die klinisch-psychologische Behandlung in Österreich eine Kassenleistung. Das bedeutet, dass alle Versicherten erstmals von ihrer Sozialversicherung einen Kostenzuschuss für die klinisch-psychologische Behandlung im niedergelassenen Bereich erhalten können. Je nach Sozialversicherung variiert die Höhe des Kostenzuschusses. Bei der ÖGK (Österreichische Gesundheitskasse) liegt er für eine 60-minütige Einzeltherapie aktuell beispielsweise bei 33,70 Euro, bei der SVS (Sozialversicherung der Selbstständigen) für eine Einzeltherapie (ab 50 Minuten) bei 45,00 Euro, bei der BVAEB (Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau) für eine Einzeltherapie (ab 50 Minuten) bei 46,60 Euro. Nähere Informationen unter: www.boep.or.at
Karin Isak
1 Mehnert A, Hartung TJ, Friedrich M et al., One in two cancer patients is significantly distressed: prevalence and indicators of distress. Psychooncology 2018; 27:75–82
2 S3-Leitlinie „Psychoonkologie 2023“, Langversion
3 Zabora J, BrintzenhofeSzoc K, Curbow B et al., The prevalence of psychological distress by cancer site. Psychooncology 2001; 10:19–28
4 Burgess C, Cornelius V, Love S et al., Depression and anxiety in women with early breast cancer: five year observational cohort study. BMJ 2005; DOI: 10.1136/bmj.38343.670868.D3
5 Brandenburg D, Maass SWMC, Geerse OP et al., A systematic review on the prevalence of symptoms of depression, anxiety and distress in long-term cancer survivors: implications for primary care. Eur J Cancer Care 2019; 28:e13086; DOI: 10.1111/ecc.13086
6 Burgess C, Cornelius V, Love S et al., Depression and anxiety in women with early breast cancer: five year observational cohort study. BMJ 2005; DOI: 10.1136/bmj.38343.670868.D3
7 Weis J: Psychische Langzeitfolgen von Krebserkrankungen. Springer Verlag, Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz 2022; 65(4):431–38
8 Mehnert A, Scherwarth A, Schirmer L et al., The association between neuropsychological impairment, self-perceived cognitive deficits, fatigue and health related quality of life in breast cancer survivors following standard adjuvant versus high dose chemotherapy. Patient Educ Couns 2007; 66:108–18; DOI: 10.1016/j.pec.2006.11.005
9 Massie MJ. Prevalence of depression in patients with cancer. Journal of the National Cancer Institute Monographs 2004; 57–71
10 Miller K, Massie MJ. Depressive disorders. Psychooncology 2010; 311–17
11 Pirl WF. Evidence report on the occurrence, assessment, and treatment of depression in cancer patients. Journal of the National Cancer Institute Monographs 2004; 32–39
12 Wilson KG, Chochinov HM, Skirko MG et al., Depression and anxiety disorders in palliative cancer care. Journal of Pain and Symptom Management 2007; 33:118–29
13 Batty et al. (Studie 2017): Psychological distress in relation to site specific cancer mortality: pooling of unpublished data from 16 prospective cohort studies
14 Wang et al. (Studie 2020): Depression and anxiety in relation to cancer incidence and mortality: a systematic review and meta-analysis of cohort studies
15 Lee & Singh (Studie 2021): The association between psychological distress and cancer mortality in the USA: Results from 1997–2014 NHIS-NDI Record Linkage Study
16 Tang M, Liu X, Wu Q, Shi Y. The effects of cognitive-behavioral stress management for breast cancer patients: a systematic review and meta-analysis of randomized controlled trials. Cancer Nursing 2020; 43:222–37
17 Li Y, Li X, Hou L et al., Effectiveness of dignity therapy for patients with advanced cancer: a systematic review and meta-analysis of 10 randomized controlled trials. Depression and Anxiety 2020; 37:234–46
18 Fulton JJ, Newins AR, Porter LS, Ramos K. Psychotherapy targeting depression and anxiety for use in palliative care: a meta-analysis. Journal of Palliative Medicine 2018; 21:1024–37
19 Wang C, Chow AY, Chan CL. The effects of life review interventions on spiritual well-being, psychological
distress, and quality of life in patients with terminal or advanced cancer: a systematic review and meta-analysis of randomized controlled trials. Palliative Medicine 2017; 31:883–94
20 Goerling U, Tagmat D, Muffler E et al., Practice and effectiveness of outpatient psycho-oncological counseling for cancer patients. Journal of Cancer 2010; 1:112–19