Behandlung von Krebspatient:innen in zertifizierten Organkrebszentren

Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern wird der Messung der onkologischen Versorgungsqualität in Österreich seit Jahren nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Ein nationales Programm zur Messung der Behandlungsqualität fehlt und Struktur- und Prozesskriterien aus dem Österreichischen Strukturplan Gesundheit (ÖSG) wie beispielsweise die konkrete Umsetzung der Anforderungen an Tumorboards werden in den Spitälern nicht überprüft. Hauptgrund für die fehlende nationale Qualitätsmessung ist, dass die Behandlung von Krebspatient:innen vorzugsweise intramural stattfindet und hier die Bundesländer in der Organisations- und Prozessverantwortung stehen.
Mit dem Krebsrahmenprogramm gibt es zwar ein gesundheitspolitisches Bekenntnis, Qualitätskriterien wie definierte Behandlungsstandards, Fallzahlen und Netzwerkbehandlung zu erstellen. Solange jedoch eine verpflichtende Vorgabe fehlt, ist es nicht einfach, die Geschäftsführungen und Behandlerteams in den Spitälern davon zu überzeugen, dass sich der Aufwand für Qualitätsmessung, z.B. im Rahmen einer Zertifizierung, lohnt. Eine Ausnahme bildet die in Österreich gut eta­blierte Versorgung von Patient:innen mit Brustkrebs in zertifizierten Zentren.

Zertifizierungsprogramme in der Onkologie

Grundlegend ist daher zunächst die Beantwortung der Frage, ob eine spitalsbezogene Qualitätsmessung anhand objektiver Kriterien die Behandlung von Krebspatient:innen verbessern kann. Es gibt verschiedene Zertifizierungsprogramme in der Onkologie. Die in Österreich am häufigsten verwendeten Zertifizierungssysteme OnkoZert, Doc-Cert und EUSOMA sind entitätsbezogen aufgebaut, das heißt, die Zertifizierung bezieht sich jeweils auf eine bestimmte Tumorentität. Das Zertifizierungsmodell nach EUSOMA ist lediglich für Brustkrebs verfügbar, das Zertifizierungsmodell nach Doc-Cert erlaubt eine Zertifizierung für Brustkrebs und gynäkologische Tumoren. Beim Zertifizierungsmodell nach der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG; Zertifizierungsgesellschaft OnkoZert) besteht für Spitäler die Möglichkeit, eine Zertifizierung für viele verschiedene Tumorentitäten durchzuführen, u.a. Darmkrebs, Pankreaskrebs, Brustkrebs, Lungenkrebs, Hautkrebs, Prostatakrebs oder auch hämatologische Erkrankungen. Das DKG-Modell bietet somit einem Spital den Vorteil, extern validierte Qualitätssicherung und Benchmarking für viele Krebserkrankungen durchzuführen.

Deutsche Krebsgesellschaft/ OnkoZert

Im Folgenden wird das Modell der Deutschen Krebsgesellschaft näher beleuchtet, weil für dieses Zertifizierungssystem der konkrete Nutzen für verschiedenste Tumorentitäten wissenschaftlich untersucht wurde. Mit dem DKG-Modell, auch unter dem Namen OnkoZert bekannt, wurde von den onkologischen Fachgesellschaften, Berufsverbänden sowie Selbsthilfegruppen vor Jahren eines der weltweit größten onkologischen Qualitätssicherungsprogramme etabliert und kontinuierlich weiterentwickelt (https://www.zertkomm.de/). Spitäler in Deutschland (und im Ausland) haben die Möglichkeit, sich anhand der Kriterien freiwillig zertifizieren zu lassen. Mindestfallzahlen sowie Mindestvorgaben für die einzelnen Operateur:innen, Patholo­g:innen und Cancer Nurses, Out­come-Parameter wie R1-Resektionsrate und operative Komplikationsraten nach 30 Tagen, supportive Betreuungsangebote wie psychoonkologische Begleitung und niederschwellige soziale Beratung müssen nachgewiesen und mit Fallzahlen belegt werden. Die Messung von Patient-reported Outcomes sowie auch das fünfjährige Follow-up der Patient:innen zur Berechnung des progressionsfreien und des Gesamtüberlebens sind Teil der Qualitätsprozesskette, die mit konkreten Zahlen im Rahmen eines externen Audits belegt werden müssen.
Die kontinuierliche Erhebung der vielen Facetten von Diagnostik, Behandlung und unterstützenden Maßnahmen erfordert spitalsintern eine regelmäßige Auseinandersetzung mit den eigenen Daten in interprofessionell konstituierten Qualitätszirkeln. Anhand der „OnkoZert-Jahresberichte“ kann das einzelne Spital ablesen, wie man in Bezug auf jede einzelne Kennzahl im Vergleich zu anderen Zentren abschneidet, die ebenfalls nach OnkoZert zertifiziert sind. Derzeit gibt es 2.152 DKG-zertifizierte Organkrebszentren. 287.590 Patient:innen mit der Erstdiagnose eines malignen Tumors wurden 2021 in einem zertifizierten Zentrum behandelt.

Studie zur Wirksamkeit der Ver­sorgung in onkologischen Zentren

Kürzlich wurden die Ergebnisse eines vom Innovationsfonds des deutschen GB-A (Gemeinsamer Bundesausschuss) geförderten Projekts zur „Wirksamkeit der Versorgung in onkologischen Zentren“ (WiZen-Studie) veröffentlicht.1 Erstmals wurde darin untersucht, ob die Behandlung in DKG-zertifizierten Zentren mit einem Überlebensvorteil verbunden ist (im Vergleich zur Behandlung in Spitälern ohne Zertifizierung). Die Studie basiert einerseits auf Versicherungsdaten der AOK (Allgemeine Ortskrankenkasse, Deutschland) und andererseits auf Daten der vier klinischen Krebsregister Regensburg, Dresden, Erfurt und Berlin-Brandenburg. In die Studie gingen über eine Million Behandlungsfälle zwischen 2009 und 2017 ein. Untersucht wurden 11 Krebserkrankungen: Kolonkarzinom, Rektumkarzinom, Lungenkarzinom, Pankreaskarzinom, Mammakarzinom, Zervixkarzinom, Prostatakarzinom, Endometriumkarzinom, Ovarialkarzinom, Kopf-Hals-Malignome und neuroonkologische Tumoren. Primärer Endpunkt war das relative (adjustierte) Gesamtüberleben; weitere primäre Zielkriterien waren das 1- und 5-Jahres-Überleben sowie die 30-Tages-Mortalität. Die Daten wurden adjustiert nach zahlreichen Gesichtspunkten wie Alter des/der Patient:in, Geschlecht, weitere onkologische Erkrankung des/der Patient:in, Komorbiditäten, Bettenzahl des Krankenhauses, Universitätskrankenhaus, Lehrkrankenhaus, Trägerschaft, Beginn der Zertifizierung und Jahr der Erstbehandlung. Die Daten stammten aus den Leistungsbereichen Versicherten-Stammdaten, ambulante Versorgung, stationäre Versorgung und Arzneimittelverordnungen.
Das Ergebnis der WiZen-Studie zeigt einen hochgradigen Überlebensvorteil für Krebspatient:innen, die in DKG-zertifizierten Organkrebszentren behandelt wurden. Der Überlebensvorteil nach fünf Jahren durch die Behandlung in einem zertifizierten Zentrum war für 9 von 11 untersuchten Tumorerkrankungen nachweisbar. Die niedrigere Mortalität in den zertifizierten Zentren war sowohl in den gepoolten Daten der vier Krebsregister als auch in den Daten der AOK erkennbar. Nach fünf Jahren betrug der Überlebensvorteil für Patient:innen in absteigender Reihenfolge: neuroonkologische Tumoren 13,0%, Lungenkarzinom 11,1%, Ovarialkarzinom 6,9%, Mammakarzinom 6,4%, Rektumkarzinom 5,9%, Zervixkarzinom 5,8%, Pankreaskarzinom 5,0%, Prostatakarzinom 3,7%, Kolonkarzinom 2,0%, Endometriumkarzinom 1,7%, Kopf-Hals-Tumoren 1,7%. Für die beiden letzten Entitäten bestand kein signifikanter Vorteil. Die Ergebnisse zeigen, dass Patient:innen mit den niedrigeren Tumorstadien I–III stärker von der Zentrumsbehandlung profitieren als Patient:innen im fortgeschrittenen Stadium IV. Für fast alle Entitäten konnte gezeigt werden, dass die Assoziation zwischen Zentrumsbehandlung und längerem Gesamtüberleben tendenziell stärker ist, je länger das Zentrum bereits zertifiziert ist. Die Größe des Zentrums ist nur in einigen Tumorentitäten mit einem Überlebensvorteil verbunden.
Die Plausibilität der Daten ist hoch. Hinsichtlich der Patientenmerkmale wie Alter und Geschlechtsstruktur sowie Tumorstadium waren keine relevanten Unterschiede zwischen zertifizierten und nicht zertifizierten Zentren zu erkennen. Als möglicher Bias ist anzumerken, dass aufgrund fehlender Daten keine Adjustierung in Bezug auf den sozioökonomischen Status, Schweregrad der Komorbiditäten, ECOG-Performance-Status, die Histologie und das Grading vorgenommen werden konnte. Die Ergebnisse der Studie lassen keinen Rückschluss auf die Gründe des Ergebnisses zu. Aber es ist plausibel, dass der Überlebensvorteil auf den geforderten Kriterien der Zertifizierung basieren dürfte: Diese führen zu höherer Inter- und Multidisziplinarität von Behandlungsteams, einer konsequenteren Vorstellung von Patient:innen in Tumorboards (Mindesterfordernis > 95%) und einer nachweislich geforderten kontinuierlichen Auseinandersetzung mit Prozess-, Struktur- und Ergebnisqualität. Die Schlussfolgerung der Autor:innen der WiZen-Studie ist, dass eine Behandlung von Tumorerkrankten in zertifizierten Zentren ein hohes Potenzial hat, das Überleben von Krebspatient:innen signifikant zu verbessern, und daher gesundheitspolitisch gefördert werden sollte.

Sind die Ergebnisse der WiZen-Studie auf Österreich übertragbar?

Es stellt sich die berechtigte Frage, ob die Ergebnisse auf das österreichische Gesundheitssystem übertragbar sind. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass sich die medizinische Qualität (operativ, strahlentherapeutisch und systemische Tumortherapie) sowie die supportiven Angebote hierzulande von Deutschland unterscheiden. Ein Unterschied ist die Etablierung von onkologischen Praxen in Deutschland: Anders als in Österreich werden medikamentöse Therapien auch in spezialisierten onkologischen Praxen angeboten. Dieser Gegensatz erklärt jedoch nicht den nachgewiesenen Vorteil der Zertifizierung, da auch Patient:innen, die in zertifizierten Krebszentren betreut werden, ihre medikamentöse Therapie oftmals in kooperierenden onkologischen Praxen erhalten. Zudem ist der beobachtete Unterschied in den Überlebenszeiten weitaus größer als der Effekt der systemischen Tumortherapie. Es ist daher davon auszugehen und plausibel, dass sich der Überlebensvorteil auch auf das österreichische Gesundheitssystem übertragen lässt.

Zertifizierte Zentren in Österreich

In Österreich ist der Anteil an DKG-zertifizierten Zentren niedrig. 12 Spitäler haben mindestens ein Organkrebszentrum (z.B. Prostatakrebs, Darmkrebs, Brustkrebs) nach dem DKG-Modell zertifiziert, insgesamt sind es 33 Organkrebszentren (Stand Juli 2024; siehe Tabelle sowie sowie auf der OncoMap der DKG2). Zusätzlich gibt es 28 nach Doc-Cert zertifizierte Organkrebszentren in 22 Spitälern, die große Mehrheit davon Brustgesundheitszentren. In Oberösterreich gibt es ein Netzwerk aus 6 Spitälern, die für die Behandlung von Brustkrebs gemeinsam nach EUSOMA zertifiziert sind.
Die Erfahrungen dieser Zentren in Österreich bestätigen, dass die Zertifizierung die Motivation der Teams hebt, Verbesserungspotenziale in der Behandlungsqualität zu suchen und zu nutzen. Einhellig wird berichtet, dass ohne die verpflichtend nachzuweisende Erfüllung der Zertifizierungsvorgaben viele der erforderlichen Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung nicht durchgeführt worden wären.

Organkrebszentren

Tab.: Die 41 österreichischen Spitäler mit mindestens einem zertifizierten onkologischen Organkrebszentrum nach dem Modell der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG), Doc-Cert (inkl. affiliierte Zentren) und/oder EUSOMA

Fazit

Vielleicht überzeugen die Ergebnisse der WiZen-Studie die österreichische Gesundheitspolitik, von den Spitälern den Weg einer Verbesserung des Überlebens von Krebspatient:innen durch Zertifizierungen zu fordern. Idealerweise sollten dabei Zertifizierungen nach dem DKG-Modell erfolgen, da nur für dieses Programm ein gesicherter Überlebensvorteil vorliegt und die große Breite an möglichen DKG-Organkrebszentren bis hin zur Zertifizierung als „Onkologisches Zentrum“ eine langfristige Weiterentwicklung der österreichischen Landschaft anhand einheitlicher Kriterien analog zu Deutschland ermöglicht. Daher ist es nun als gute Entwicklung hervorzuheben, dass …

  1. sich der Bund in dem geplanten neuen Krebsrahmenprogramm dezidiert mit dem Thema der Zertifizierung auseinandersetzt, 
  2. die Krebshilfe Österreich jene Spitäler, die sich einer externen Qualitätsmessung unterziehen, in ihren Informationsmaterialen darstellt und 
  3. sich einzelne Spitäler in Österreich freiwillig und ohne zusätzliche finanzielle Unterstützung oder öffentlichen Mehrwert einer extern validierten fachlichen Zertifizierung (OnkoZert, Doc-Cert, EUSOMA) unterziehen.

Ansgar Weltermann, 
Kathrin Strasser-Weippl

1https://innovationsfonds.g-ba.de/downloads/beschluss-dokumente/268/2022-10-17_WiZen_Ergebnisbericht.pdf

2https://www.oncomap.de/centers?selectedCountries=[%C3%96sterreich]&showMap=1)