Innovationen in der Nuklearmedizin

Während die Radiologie mit Computertomografie (CT) und Magnetresonanztomografie (MRT) einen Überblick über die Tumormorphologie sowie die genaue Tumorlokalisation und Tumorgröße geben kann, liefern nuklearmedizinische Verfahren einen Einblick in den Stoffwechsel von Tumoren und ermöglichen so einen Rückschluss auf deren Zellteilungsaktivität (= Tumorwachstum). Aufgrund der standardmäßig durchgeführten Ganzkörperaufnahme können auch unentdeckte Fernmetastasen erfasst werden, die das weitere therapeutische Vorgehen beeinflussen. Dafür wird ein Tracer (eine radioaktiv markierte Substanz) intravenös verabreicht und von Tumorzellen aufgenommen. Das klassische Beispiel einer stoffwechselaktiven Substanz ist die Glukose, die in Tumorzellen um ein Vielfaches intensiver metabolisiert wird als in gesunden Zellen. In der Nuklearmedizin wird 18F-Fluordesoxyglukose ([18F]-FDG) in der Posi­tronen-Emissions-Tomografie (PET) zur Bildgebung des Tumorstoffwechsels verwendet. Durch den Einsatz von Hybridscannern mit der Kombination von PET und CT oder PET und MRT können beide Informationen in einem Untersuchungsgang aufgenommen werden. Ein weiterer Vorteil nuklearmedizinischer Verfahren liegt darin, dass die gleiche Grundsubstanz, die in der Bildgebung eingesetzt wird, auch zur Behandlung verwendet werden kann.

Nuklearmedizinische Bildgebung: Lymphknotenmetastasen eines Prostatakarzinom-Patienten, dargestellt mittels PSMA-PET/CT

Bereits vor mehr als 80 Jahren wurde erstmalig radioaktives Jod [131I], ein Beta- und Gammastrahler, zur Behandlung von Schilddrüsenkarzinomen erfolgreich eingesetzt. Die zusätzlich abgegebene Gammastrahlung kann mit einer Gammakamera zum Nachweis von Jod aufnehmenden Metastasen eingesetzt werden. Aus der Kombination von Therapie und Diagnostik leitet sich schließlich der in der Nuklearmedizin verwendete Begriff „Theranostik“ ab – als Beispiel einer personalisierten Medizinanwendung.

PSMA, das Prostata-spezifische Membranantigen, wird von 95% der Prostatakarzinomzellen exprimiert und liegt in hoher Dichte insbesondere bei aggressiven Tumoren vor. Die Nuklearmedizin kann durch die bildgebende Darstellung von Primärtumor und Tumormetastasen mit hoher PSMA-Expression spezifisch jene Patienten herausfinden, die am meisten von einer sogenannten „Radioligandentherapie“ profitieren.

Nuklearmedizinische Bildgebung: Für die nuklearmedizinische Bildgebung wird PSMA mit kurzlebigen Positronenstrahlern wie Fluor-18 [18F], Gallium-68 [64Ga] und Kupfer-64 [64Cu] stabil markiert.

Folgende Indikationen sind für die PSMA-PET/CT-Bildgebung etabliert:

  • PSA-Rezidiv (> 0,2 ng/ml) nach radikaler Prostatektomie oder nach lokal ablativer Strahlentherapie
  • Auswahl der Patienten für die Radioligandentherapie nach Ausschöpfung etablierter Therapielinien mit Taxanen und Androgen-Rezeptorblockern
  • Bei klinischem Verdacht auf Metastasierung und unauffälliger konventioneller Bildgebung (CT und Skelettszintigramm)

Der wahre Stellenwert der PSMA-Diagnostik konnte im CONDOR Trial, einer prospektiven Phase-III-Multicenter-Studie, gezeigt werden. In diese Studie wurden Prostatakarzinompatienten aufgenommen, die ein biochemisches Rezidiv hatten, bei denen aber die Lokalisation mittels Standardbildgebung nicht oder nur fraglich möglich war. Demgegenüber konnte mit PSMA-PET/CT bei 91% der Patienten die korrekte Metastasenlokalisation detektiert werden. Bei 64% der Patienten wurde aufgrund des PSMA-PET-Ergebnisses die primäre Therapieentscheidung geändert.

Im Jahr 2021 haben zwei Radioligandentherapie-Studien große Aufmerksamkeit in der Behandlung von metastatierten „kastrationsresistenten“ Prostatakarzinomen erlangt, d.h. bei Patienten, die auf antihormonelle Therapien nicht mehr ansprechen. Im TheraP Trial, einer prospektiven, randomisierten Multicenter-Phase-II-Studie wurden 200 Patienten, die bereits mit Chemotherapie und zumindest einer Androgen-Rezeptortherapie behandelt waren und dennoch eine hohe PSMA-Expression in der PET/CT-Untersuchung zeigten, eingeschlossen. Eine Gruppe erhielt 177Lutetium-PSMA-617, die andere Gruppe erhielt als Standard-Nächstlinien-Chemotherapie Cabazitaxel. Ein definierter primärer Endpunkt war das Ansprechen auf die Therapie, gemessen am PSA-Abfall von ≥ 50%. Dieses Ansprechen erreichten 66% der Patienten mit Radioligandentherapie gegenüber 37% der Patienten mit Chemotherapie. Dazu konnte ein vorteilhaftes Nebenwirkungsprofil der Radioligandentherapie als messbarer Behandlungserfolg aufgezeigt werden. In einer 3-Jahres-Auswertung konnte allerdings keine Verbesserung des Gesamtüberlebens als sekundärer Endpunkt gezeigt werden.
Im Vision Trial, einer internationalen prospektiven Multicenter-Phase-III-Studie, wurden über 800 Patienten, die bereits eine oder zwei Chemotherapie-Linien sowie zumindest eine Androgen-Rezeptortherapie erhalten hatten und dennoch eine hohe PSMA-Expression in der PET/CT-Untersuchung zeigten, eingeschlossen. Ein Teil der Patienten erhielt zusätzlich zur Standardtherapie auch 177Lutetium-PSMA-617. Primäre Endpunkte waren das radiologische progressionsfreie Überleben (rPFS) und das Gesamtüberleben (OS). Das rPFS betrug bei Patienten, die zusätzlich zur Standardtherapie auch eine Radioligandentherapie erhielten, 8,7 Monate vs. 3,4 Monate bei Patienten mit einer Standardbehandlung ohne Radioligandentherapie. Das mediane Gesamtüberleben betrug 15,3 Monate mit 177Lutetium-PSMA-617 plus Standardtherapie vs. 11,3 Monate mit Standardtherapie. Beide Ergebnisse sind für die Zugabe der Radioligandentherapie statistisch signifikant.

Durch diese Erfolge ermutigt, läuft derzeit eine internationale Phase-III-Studie (NCT04720157, PSMAddition Trial) bei Patienten mit hormonsensitivem metastasiertem Prostatakarzinom, die bei positivem Verlauf den Stellenwert der nuklearmedizinischen PSMA-Therapie in einer früheren Therapielinie neu definieren wird.

In den letzten Jahrzehnten ist die Zahl der nicht-melanozytären Hautkrebserkrankungen (non-melanocytic skin cancer – NMSC) weltweit am stärksten gestiegen (30% aller Krebserkrankungen). Das Spektrum dieser häufigsten Tumoren des Menschen reicht von aktinischen Keratosen über Basaliome bis hin zu Plattenepithelkarzinomen. Das Auftreten von NMSC nimmt mit dem Alter zu und erreicht seinen Höhepunkt um das 6.–7. Jahrzehnt. Männer sind häufiger betroffen als Frauen. Sonnenexponierte Körperregionen sind besonders anfällig.
Der chirurgische Eingriff ist die häufigste Art der Behandlung. In ausgewählten Fällen, z.B. bei inoperablen Tumoren oder bei PatientInnen mit systemischen Grunderkrankungen (Kardiomyopathie, Lungeninsuffizienz), kann eine Bestrahlungstherapie oder eine Brachytherapie mit dem Radioisotop Iridium-192 eine zuverlässige Alternative sein. Das in dieser Indikation neu zugelassene Rhenium-188 ist ein beta-emittierendes ­Radioisotop mit hoher Energie und weist auch eine zusätzliche Gamma-Emission und eine Halbwertszeit von rund 17 Stunden auf. Das Prinzip der epidermalen Radioisotopentherapie mittels Rhenium-188 basiert auf der lokalen direkten zelltötenden Wirkung der Betastrahlung, die sowohl den lokalen Zelltod als auch lokale Reparaturreaktionen des Immunsystems des Körpers auslöst. Die therapeutische Wirkung der Betastrahlung von Rhenium-188 ist auf die Hautoberfläche begrenzt, mit einer Tiefenwirkung bis zu 3 mm, und damit ideal für die gezielte Behandlung von oberflächlichen Hautkrebsarten wie den meisten Nicht-Melanom-Hautkrebsarten. Indem das Radionuklid an eine Matrix gebunden und auf eine Folie über der Läsion aufgetragen wird, wird ein direkter Kontakt des Radionuklids mit der Haut vermieden. Im Allgemeinen ist nur eine einzige Behandlung und keine Anästhesie erforderlich. Die Strahlenbelastung für die PatientInnen während einer Rhenium-188-Therapie ist vor allem auf die Gamma-Komponente von Rhenium-188 zurückzuführen und insgesamt minimal.

Bei den Tumoren der Schilddrüse unterscheidet die aktuelle WHO-Klassifikation differenzierte Karzinome, zu denen das von den Follikelzellen ausgehende papilläre und das follikuläre Schilddrüsenkarzinom zählen, das gering differenzierte Karzinom (PDTC), das undifferenzierte anaplastische Karzinom sowie das medulläre Karzinom.
Differenzierte Schilddrüsenkarzinome machen etwa 90–95% aller Fälle von Schilddrüsentumoren aus. Mehr als 90% aller differenzierten Schilddrüsenkarzinome lassen sich mit einem multimodalen Therapiekonzept kurativ behandeln. Ein derartiges Konzept besteht aus operativer Entfernung der Schilddrüse (Thyreoidektomie), Radiojodablation von residualem Schilddrüsen(tumor)gewebe und einer Schilddrüsenhormon-Substitutionstherapie. Die Prognose ist hinsichtlich Rezidivfreiheit und Langzeitüberleben ausgezeichnet. Die Behandlungsstrategien für fortgeschrittene Tumorstadien beinhalten den (wiederholten) Einsatz der Radiojodtherapie, solange die Tumorzellen die Fähigkeit zur Radiojodaufnahme zeigen und kein weiterer Progress trotz Radiojodtherapie vorliegt.
Zahlreiche papilläre oder follikuläre Schilddrüsenkarzinome mit Fernmetastasen zeigen in allen oder manchen Tumorläsionen einen geringeren Differenzierungsgrad, der mit einem zunehmenden Verlust der Radiojodaufnahme einhergeht. Die Verringerung oder der Verlust der Radiojodaufnahme wird mit der verminderten Expression des Natrium-Iodid-Symporters (NIS), des aktiven Transportproteins für die intrazelluläre Jodaufnahme, oder dessen funktioneller Resistenz erklärt. In diesen Fällen ist eine Radiojodtherapie wirkungslos. Im Vergleich zu Radiojod-positiven Schilddrüsenkarzinomen weisen Radiojod-negative, wenig differenzierte Schilddrüsenkarzinome eine wesentlich schlechtere Prognose auf. Allerdings bestehen auch in dieser Subgruppe große Unterschiede im biologischen Verhalten der Tumore, die im Stadium der Fernmetastasierung ohne therapeutische Maßnahme jahrelange stabile Verläufe, aber auch eine rasche klinische Progredienz innerhalb von Monaten aufweisen können. Ungefähr 5–15% der PatientInnen benötigen deshalb eine systemische Therapie.

Standards und Innovationen der Nuklearmedizin

 

  • Die Nuklearmedizin liefert Einblicke in den Stoffwechsel von Tumoren.
  • Mit standardmäßig durchgeführten Ganzkörperaufnahmen können bislang unentdeckte Fernmetastasen erfasst werden.
  • Die gleiche radioaktiv markierte Grundsubstanz, die in der Bildgebung eingesetzt wird, kann auch zur Behandlung verwendet werden. Diese Kombination von Diagnose und Therapie wird als Theranostik bezeichnet. Sie kommt heute beim Prostatakarzinom in verschiedenen Situationen zum Einsatz.
  • Eine Innovation bei oberflächlichen nicht-melanomatösen Hauttumoren, den häufigsten Tumoren des Menschen, ist die epidermale Radioisotopentherapie mit Rhenium-188. Im Allgemeinen ist damit nur eine einzige Behandlung und keine Anästhesie erforderlich.
  • Die bekannteste Form einer nuklearmedizinischen Intervention ist die kurative Behandlung von Schilddrüsenkarzinomen mit Radiojodtherapie.
  • Mit multimodalen Therapiekonzepten unter Einbeziehung moderner zielgerichteter Therapien lässt sich personalisierte Medizin in fortgeschrittenen Erkrankungsstadien erfolgreich umsetzen.

Systemische Therapie: Für die systemische Therapie Radiojod-refraktärer Schilddrüsenkarzinome stehen seit einigen Jahren die Tyrosinkinase-Inhibitoren Lenvatinib und Sorafenib entsprechend ihrer Zulassung zur Verfügung. Lenvatinib beispielsweise führte zu einer Verlängerung des progressionsfreien Überlebens von 3,6 (Placebo) auf 18,3 Monate und konnte auch in einer österreichischen Studie unter Mitwirkung nuklearmedizinischer, onkologischer und endokrinologischer Abteilungen evaluiert werden. Nach Therapieversagen auf Lenvatinib oder Sorafenib erschließt der Tyrosinkinase-Hemmer Cabozantinib eine neue Option. In einer großen internationalen Studie mit Beteiligung österreichischer Zentren wurde mit ­Cabozantinib ein medianes progressionsfreies Überleben von 11 vs. 1,9 Monaten (Placebo) erzielt.
Der Nachweis der NTRK-Genfusion ist bei metastasierten Radiojod-refraktären Schilddrüsenkarzinomen von klinischer Relevanz, weil der selektive Tropomyosin-Rezeptor-Kinase-Inhibitor Larotrectinib bei dieser Patientenpopulation eine Ansprechrate von 79% zeigte.
Weitere zielgerichtete Therapien, die regulierend in Mechanismen des Tumorwachstums oder der Entdifferenzierung von Schilddrüsenkarzinomen eingreifen, sind Selumetinib (MAP-Kinase-Hemmer), Selpercatinib (RET-Inhibitor) sowie Trametinib (MEK-Inhibitor) und Dabrafenib (BRAF-V600-Mutation).
Mit der in Österreich mittlerweile routinemäßig erfolgenden Testung auf eine BRAF-V600E-Mutation sowie auf NTRK- oder RET-Genfusionen wird die Auswahl an potenziellen medikamentösen Therapiestrategien im Falle des Therapieversagens Radiojod-refraktärer PatientInnen erweitert. Der Begriff der personalisierten Therapie bekommt damit auch bei verschiedenen Formen des Schilddrüsenkarzinoms klinische Relevanz und verdeutlicht die Fortschritte in der Therapie metastasierter Verlaufsformen.
 

Hans-Jürgen Gallowitsch, Rainer Lipp, Siroos Mirzaei, Christian Pirich

 

Literatur:
- Brose et al., Lancet Oncology 2021
- Carrozzo A et al., Eur J Dermatol 2013
- Cipriani C et al., J Dermatol Treatment 2020
- Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe: Leitlinienprogramm Onkologie. AWMF: S3-Leitlinie 2020
- Hofman MS et al., J Clin Oncol 2022
- Hofman MS et al., Lancet 2021
- Höller C. Spectrum Dermatologie 2021)
- Hong et al., Lancet 2020
- Lomas A et al., Br J Dermatol 2012
- Morris MJ et al., Clin Cancer Res 2021
- Morris MJ et al., J Clin Oncol 2021
- NCT04720157:  An international prospective open-label, randomized, phase III study comparing 177Lu-PSMA-617 in combination with SOC, versus SOC alone, in adult male patients with mHSPC (PSMAddition)
- Pillai MR et al., Curr Radiopharm 2012
- Rendl et al., Int J Endocrinol 2020
- Sartor O et al., N Engl J Med 2021
- Schlumberger et al., NEJM 2015
- Szeimies RM et al., Thieme Verlag 2010
- Zink A et al., Hautarzt 2017